Obst, Früchte und Säfte

Der Verzehr von Obst ist heute etwas ganz Selbstverständliches. In den Anfängen der Geschichte aber assen die Menschen in Mitteleuropa, vornehmlich Jäger und Sammler, ausser Beeren kaum Obst. Denn erst nach und nach kamen die einzelnen Früchtesorten aus dem Osten nach Europa und brachten die Süsse ins Leben der Menschen. Infolge der Eroberungszüge der Assyrer im zweiten und ersten vorchristlichen Jahrtausend entwickelten sich ausgedehnte Handelsbeziehungen, durch die verschiedene Obstsorten mehr und mehr nach Westen vordrangen. Gerade im fruchtbaren Zweistromland gab es zu dieser Zeit einen besonderen Arten- und Formenreichtum, der für die Weiterentwicklung vieler Obstsorten notwendig war. Dort entstanden durch zahlreiche Kreuzungen mit Wildobstsorten viele der späteren, uns heute bekannten Obstsorten. Syrer, Perser und Turkvölker verbreiteten das Wissen vom Obstbau im Nahen Osten und im Mittelmeerraum. Später hatten dann die Römer einen entscheidenden Einfluss auf die Verbreitung der Früchtesorten in Europa. Einige Jahrhunderte später, nach der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch die Europäer, gelangten dann viele weitere tropische Früchte aus Mittel- und Südamerika nach Europa.

In fast allen Ernährungsratgebern wird darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, Obst zu essen. Dabei wird aber nur die materielle Seite, also die der Inhaltstoffe, untersucht und erklärt. Aber es gibt noch eine andere Seite, die energetische, unsichtbare Seite. Auf diese möchte ich an dieser Stelle etwas näher eingehen.

In der makrobiotischen Ernährung gelten Obst und Frucht-Desserts daraus als zusätzliches Lebensmittel, das hauptsächlich als Abwechslung und zur Gaumenfreude konsumiert wird. Immer vorausgesetzt, dass es sich um Sorten handelt, die der jeweiligen Klimazone und Jahreszeiten entstammen. Verglichen mit Vollgetreide, Bohnen und Gemüse von Land und Meer enthält Obst weniger komplexe Kohlehydrate, Faserstoffe, Eiweiss, ungesättigtes Fett, essentielle Vitamine und Mineralstoffe. Zum grössten Teil besteht es aus Wasser. Fruchtzucker, das in Obst vorherrschende Kohlehydrat, ist ein Einfachzucker und gelangt viel schneller in Blut und Körperskreislauf als die in Getreide und Gemüse vorkommenden komplexen Kohlehydrate. Mit anderen Worten: Für eine ausgewogene Ernährung und in Bezug auf die Versorgung mit Faserstoffen, Eiweiss, ungesättigtem Fett, Vitaminen und Mineralstoffen spielt Obst eine untergeordnete – man könnte auch sagen: oft überschätzte – Rolle.

Darüber hinaus ist die Energie des Obstes leicht und sehr ausdehnend in seiner energetischen Kraft (Yin) und muss durch die stark zentrierte Energie (Yang) in Form von tierischen Produkten wie Fleisch, Käse und Eiern oder auch durch Salz ausgeglichen werden, um Gesundheit und Vitalität zu erhalten. Das ständige Suchen nach dieser Art des Ausgleichs stresst unser ganzes Wesen und schwächt es mit der Zeit. Mehr dazu finden Sie im Kapitel Yin- und Yang-Theorie

Aus makrobiotischer Sicht gibt es verschiedene Überlegungen, die dafür sprechen, einerseits einheimisches Obst nur als Abwechslung und Gaumenfreude zu konsumieren, andererseits tropische Früchte und auch die Säfte davon zu meiden:

  • Es hat einen Sinn, dass die Natur für jede Klimazone andere Lebensmittel hervorgebracht hat. Tropische Früchte kühlen unseren Körper stark ab – was in heissem Klima durchaus wünschenswert ist, aber nicht in kälteren Klimazonen wie bei uns. Denn es ist so: Der Körper erfährt eine Diskrepanz, indem er zwei verschiedene Informationen bekommt. Erstens durch die Nahrung, die wir zu uns nehmen, und zweitens durch das Klima, in dem wir uns gerade aufhalten. Stimmt beides nicht überein, weiss der Körper nicht mehr, wie er sich verhalten soll – wärmen oder kühlen – und kommt dadurch in einen Stresszustand.
  • Obstsaft ist aus makrobiotischer Sicht zu sehr Yin, noch viel mehr als das Obst in seiner Ganzheit. Das heisst, die auf Körper und Geist wirkende Zentrifugalkraft ist beim Obstsaft nochmals deutlich höher als beim Obst selbst. Diese Zentrifugalkraft ist für den Menschen, gerade über eine längere Zeit, nicht ganz unbedenklich. Körper und Geist kommen dadurch in einen energetischen Stresszustand, in ein Ungleichgewicht.
    Mehr dazu lesen Sie im Kapitel: Yin- und Yang-Theorie
  • Obst und besonders Obstsäfte sind konzentrierte Fruchtzucker-Bomben, die unsere Bauchspeicheldrüse belasten (denken Sie an Diabetes!). Wenn Sie Fruchtsäfte trinken möchten, dann nur, wenn es Hochsommer ist und sie mit viel Wasser verdünnt wurden.
  • Verschiedene Krankheiten wie z.B. Krebs ernähren sich von Zucker.
  • Fertig gekaufte Säfte sind in aller Regel raffinierte Produkte. Die Einheit der ganzen Frucht wurde zerstört; für die Gesundheit ist es aber von grosser Bedeutung, das ganze Produkt zu sich zu nehmen. Beherzigen Sie folgende Faustregel: Wenn Säfte, dann frischgepresste. Hinsichtlich Qualität und von der gesundheitlichen Perspektive aus gesehen sind frischgepresste Fruchtsäfte am besten, denn sie haben noch die ganze Lebendigkeit und Nährstoffe in sich. Verzichten Sie am besten ganz auf raffinierte, pasteurisierte und oft noch mit zusätzlichem Zucker aufgepeppte (Tüten- und Tetra-Pack-) Säfte!

Je frischer, reifer und ganzheitlicher ein Produkt ist, desto besser werden die jugendlichen Kräfte in unserem Körper erhalten. Einheimisches und saisongerechtes Bio-Obst ist dann besonders gesund, wenn die Früchte reif geerntet und frisch verzehrt werden. „Das Beste steckt in der Schale“, diese Weisheit ist nicht neu, doch angesichts der Erkenntnisse über die bioaktiven Pflanzenstoffe aktueller denn je. (Bioaktive Substanzen sind diejenigen Stoffe in Lebensmitteln, die zwar keinen Nährstoffcharakter besitzen, dennoch aber eine gesundheitsfördernde Wirkung entfalten.) Äpfel beispielsweise sollten also nicht geschält werden. Sinnvoll ist eine saisongerechte Auswahl, da so die jahreszeitliche Vielfalt unterschiedlicher Fruchtsorten bewusst erlebt wird und die Früchte nach einer nur kurzen Lagerdauer verzehrt werden.
Der Energiegehalt der meisten Obst­sorten wird wissenschaftlich durch den Zucker­gehalt der Früchte bestimmt. Fruchtzucker (Fructose) und Traubenzucker (Glucose) sind die hauptsächlichen Zucker­bau­steine im Obst. Sie werden rasch vom Körper auf­genom­men, gelangen also schnell in den Blutkreislauf und spen­den so in sehr kurzer Zeit Energie. Obst kann ausserdem das Bedürfnis nach Süssem stillen. Sehr süsse Früchte mit geringem Ballast­stoff­gehalt bewirken aber ein schnelles Ab­sinken des Blut­zucker­spiegels und verursachen ein erneutes Hunger­gefühl.
Mehr zum Thema Zucker in der Rubrik: Süssungsmittel und der «Zucker-Blues» oder in den Videobeiträgen: Zucker

Obst im allgemeinen vermag energetische Einseitigkeiten, also etwa eine zu starke Yin-Zentrifugalkraft, im Essen auszugleichen. Besonders bei Personen mit hoher Yang-Zentripetalkraft durch starken Konsum von tierischen Produkten wie Fleisch, Käse, Eier oder auch zuviel Salz. Diese Produkte verhärten den Körper, produzieren viel Ablagerungen und Schlacken im Körper, sie verstopfen unsere Gefässe: Man wird zu sehr Yang. Man kann sich auch so ausdrücken: Wir vermüllen unseren Körper.
Da Obst im Verhältnis zu tierischen Produkten eine hohe Yin-Zentrifugalkraft aufweist und somit einen auflösenden Effekt besitzt, es ausserdem den Energiefluss und die Vitalität verstärkt und auf Ablagerungen, Schlacken und Verstopfungen einen positiven Effekt ausübt, ist es vorteilhaft, Obst zu essen. Gleichzeitig müssen aber die tierischen Produkte natürlich weggelassen werden. Man kann also sagen, dass Obst auf den Körper im ganzen und die Gefässe im besonderen pflegend wirkt.
Aber auch das hat seine Grenzen. Denn dann, wenn der Ausgleich erreicht ist, sollte man mit dem Obstessen wieder zurückhaltender sein. Sonst verfällt man mit der Zeit in ein gegenteiliges Phänomen, man wird in seinem ganzen Wesen zu weich, also zu Yin.
Nach dem Verzehr von Fleisch, Eiern, Geflügel, Käse, Salz oder anderen extrem yangigen Nahrungsmitteln fühlt man sich natürlicherweise zu etwas Ausgedehntem, wie etwa zu Obst, Süssigkeiten oder scharfen Gewürzen, hingezogen. Dieser Vorgang ist ein natürlicher Prozess des Ausgleiches. Der Nachteil davon ist, dass die Kräfte von Yin (Früchte) und Yang (Fleisch, Käse, Eier oder auch zuviel Salz) energetisch betrachtet zu weit auseinander stehen. Für den Körper ist es eine sehr grosse Herausforderung, die extremen Kräfte dieser Produkte wieder in Harmonie zu bringen. Mehr dazu im Kapitel: Yin- und Yang-Theorie

Ein auf diese Weise erzwungenermassen erzeugtes Gleichgewicht besteht nur zeitweilig. Früher oder später kommt der Körper durch die ständige Suche nach dem Ausgleich in einen Stresszustand. Werden Obst und daraus zubereitete Speisen im Übermass verzehrt und keine genügenden ausgleichenden Kräfte aufgenommen, können sie zu einer ganzen Reihe von Krankheiten und Symptomen beitragen. Körperlich angefangen bei Erkältungen, Grippe, Arthritis, Rheumatismus, Diabetes, Reizbarkeit und natürlichem Immunitätsverlust. Vom ganzen Verhalten her betrachtet, tendiert eine solche Person dazu, zu empfindlich, phlegmatisch und lethargisch zu werden. Tropische Früchte verstärken das sogar noch. (Als Phlegmatiker wird ein Mensch bezeichnet, der langsam, ruhig und manchmal sogar träge und schwerfällig ist und der nur schwer zu erregen und kaum zu irgendwelchen Aktivitäten zu bewegen ist. Als Lethargie wird in der medizinischen Fachsprache eine Form der Bewusstseinsstörung bezeichnet, die mit Schläfrigkeit und einer Erhöhung der Reizschwelle einhergeht.)

Wenn Sie zum Beispiel vom Frühling bis zum Ende des Sommers regelmässig kühlende Fruchtsäfte trinken, ist der Körper auf Kühlung programmiert. Wenn Sie aber auf den Herbst hin, wenn es wieder kühler wird, wieder wollen, dass der Körper Sie wärmt, kann es schon zu spät sein: Die Umstellung des Körpers braucht etwa sechs bis acht Wochen ab dem Zeitpunkt, ab dem ab Sie konsequent keine kühlenden Fruchtsäfte mehr zu sich nehmen. Das heisst, sechs bis acht Wochen vor Beginn der kühleren Jahreszeit sollte man keine kühlenden Lebensmittel mehr zu sich nehmen. Und erst recht keine tropischen Früchte und Säfte, die alles noch verstärken.
Es gibt aber eine Ausnahme: Wenn Sie zum Beispiel in den Winterferien in ein Land mit heissen Temperaturen reisen, können Sie sich schon im Voraus etwas klimatisieren. Fangen Sie drei Wochen vor der Reise an, tropische Früchte zu sich zu nehmen und so den Körper zu kühlen, dann können Sie bei der Ankunft in diesem Land den Hitzeschock spürbar mildern.

Durch die makrobiotische Ernährung wird die Sensibilität für die natürliche Konsistenz, das natürliche Aroma und den natürlichen Geschmack der vollwertigen Lebensmittel wieder hergestellt. Wenn die natürliche Süsse von Vollgetreide und Gemüse neu entdeckt und geschätzt wird, lässt das Verlangen nach Obst und gesüssten Speisen nach. In der entsprechenden Jahreszeit, wenn das jeweilige Obst reif ist, ist eine kleine Menge qualitativ hochwertiges Obst, das aus der Umgebung stammt, sehr delikat und kühlend. Wenn die Früchte richtig zubereitet und im richtigen Verhältnis verzehrt werden, können sie unseren Sinn für das Schöne verstärken, zu unserer geistigen und emotionalen Entwicklung beitragen und unsere Wertschätzung der Natur fördern.

Wie kann man als Mensch wahrnehmen, ob ich jetzt ein Obst essen sollte? Da gibt es eine zuverlässige Impulslösung: Wenn man vor einem Obst steht und einem das Wasser im Munde zusammenzulaufen beginnt, wenn man nichts so dringend möchte, wie in dieses Obst hineinzubeissen, dann haben der Körper und der Geist uns ein wenig geschubst. Und diesem kleinen Schubser können Sie guten Gewissens nachgeben!

Mehr Informationen zu Obst und seinen Heilkräften gibt es in den Büchern
Obst, Flensburger Hefte, ISBN 978-3-935679-90-9
Obst 2, Flensburger Hefte, ISBN 978-3-935679-96-1